25.11
2019
Messverfahren zur Geschwindigkeitsmessung im Straßenverkehr

Aufsehen erregte das Urteil des Saarländischen Verfassungsgerichtshofes (im Folgenden Saarl VerfGH) vom 05.07.2019, Lv 7/17, wonach das Grundrecht auf wirksame Verteidigung auch in einem Bußgeldverfahren über eine Geschwindigkeitsüberschreitung einschließe, dass die Rohmessdaten der Geschwindigkeitsmessung zur nachträglichen Plausibilitätskontrolle zur Verfügung stehen. Da dies bei jenem Messverfahren (Traffistar S 350) nicht der Fall war, wurden die angegriffenen Urteile aufgehoben.

Wie erwartet, wurde jene Rechtsprechung zur Begründung von Einsprüchen gegen Bußgeldbescheide aufgenommen, auch auf andere Messverfahren ausgeweitet und inzwischen liegen nun einige veröffentlichte Entscheidungen von Oberlandesgerichten mit Stellungnahmen zu der Entscheidung des Saarl VerfGH vor.

Hier zeigt sich, dass die Entscheidung des Saarl VerfGH entgegen der Erwartungen vieler betroffener Verkehrsteilnehmer nicht zu einer wesentlichen Rechtsprechungsänderung geführt hat und es bleibt abzuwarten, wann auf Bundesebene Klarheit zu der nun wieder einmal uneinheitlichen Rechtsprechung in dem Bereich technischer Messverfahren im Straßenverkehr geschaffen wird.

Gestützt wird die restriktive Übernahme der Argumentation des Saarl VerfGH durch die Oberlandesgerichte regelmäßig auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zum sogenannten standardisierten Verfahren.

Standardisiert ist ein durch Regelungen vereinheitlichtes technisches Verfahren, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (BGH St 43, 277 ff). Wenn ein Verfahren als standardisiert gilt, führt dies nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes einerseits zu einer Herabsetzung der Anforderungen an die tatrichterlichen Feststellungen. Das Urteil kann sich – soweit keine Besonderheiten Zweifel am Messergebnis begründen können – dann beschränken auf die Bezeichnung des gewählten Messverfahrens, des Messergebnisses und der gewährten Toleranz (letzteres teilweise auch indirekt durch Bezeichnung des konkreten Messverfahrens). Außerdem muss sich das Gericht bei jenen Verfahren nur dann von der Zuverlässigkeit der Messung überzeugen, wenn konkrete Anhaltspunkte für Messfehler gegeben sind.

Tatsächlich hat das saarländische Verfassungsgericht die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zum standardisierten Messverfahren aber auch gar nicht in Frage gestellt.

Daher hat auch die Verteidigung tatsächlich darauf zu achten, vor den Gerichten differenziert zu argumentieren.

Soweit die Verteidigung sich auf das Urteil des Saarl VerfG berufen will, so bezieht sich dieses grundsätzlich nur auf Verfahren, welche die Rohmessdaten der Geschwindigkeitsmessung nicht speichert. Dies hat das OLG Oldenburg, Beschluss vom 09.09.2019, Az.2 Ss (OWi) 233/19, entweder übersehen oder es wollte mit seiner in diesem Fall nicht entscheidungserheblichen Auseinandersetzung mit dem Urteil des Saarl VerfG allgemein Rechtsbeschwerden vorbeugen. Denn das in jenem Verfahren eingesetzte System ES 8.0 speichert jene Rohmessdaten.

Wer die Verwertung einer Messung mit Geschwindigkeitsmesssystem angreifen möchte, muss außerdem zumindest der Verwertung des Messergebnisses widersprechen. Und einzig zulässige Rüge in der Rechtsbeschwerde ist die sogenannte Verfahrensrüge. Es muss daher unter anderem dargestellt werden, dass man in der Hauptverhandlung der Verwertung widersprochen hat, OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.10.2019, Az. 2 RBs 141/19.

Nicht überzeugend ist die Auffassung mancher Gerichte, wonach der Umstand, dass eine Geschwindigkeitsmessung im Nachhinein nicht mehr in allen technischen Einzelheiten nachvollzogen werden kann, einer Verwertung grundsätzlich nicht entgegenstehe. Technische Beweise müssten nicht jederzeit und vollständig rekonstruierbar sein, eine derartige Auffassung finde keine Stütze in Art.6 EMRK und Art. 20 III GG.

Tatsächlich hatte sich aber auch das Saarl VerfG mit den Grenzen der Überprüfbarkeit und Überprüfungspflicht technischer Verfahren durch Gerichte auseinandergesetzt, jedoch differenzierter begründet:

„Gibt es aber keine zwingenden Gründe, Rohmessdaten nicht zu speichern, und erlaubt ihre Speicherung, das Ergebnis eines Messvorgangs nachzuvollziehen, so ist es unerheblich, dass es sich bei Bußgeldverfahren um Massenverfahren von in aller Regel geringerem Gewicht für einen Betroffenen — immerhin können sie im Einzelfall eben doch dazu führen, dass erhebliche Einschränkungen der Mobilität und der beruflichen Einsatzmöglichkeiten entstehen — handelt, und dass in der weit überwiegenden Zahl aller Fälle Geschwindigkeitsmessungen zutreffend sind. Rechtsstaatliche Bedingungen sind nicht nur in der weitaus überwiegenden Mehrzahl aller Fälle zu beachten, sondern in jedem Einzelfall.“

Außerdem hat die Verteidigung aber auch weiterhin tatsächlich konkrete Anhaltspunkte für eine Fehlmessung bei einem Beweisantrag zu benennen. So hat das OLG Brandenburg, Beschl. v. 27.8.2019 – (1 B) 53 Ss-OWi 286/19 (170/19), entschieden, dass „ins Blaue“ hinein aufgestellte Behauptungen, welche in einer Hauptverhandlung widerlegt werden können nicht zu einer Beweiserhebung führen könnten, da einem bloßen Beweisermittlungsantrag das Bußgeldgericht nicht nachzugehen bräuchte. Und dem stehe auch die Entscheidung des Saarl VerfG nicht entgegen.

Bereits ein Jahr zuvor hatte der Saarl VerfGH mit Urteil vom 27.04.2018 (DAR 2018, 557) darauf hingewiesen, dass bei Vorliegen von Rohmessdaten im Messsystem ein umfangreiches Akteneinsichtsrecht auch in diese besteht. Das OLG Bamberg nahm in seinem Beschluss vom 13.06.2018 (DAR 2018, 573) hierzu Stellung und kam zu dem Schluss, dass durch die Ablehnung der Akteneinsicht in vorhandene Rohmessdaten kein Verstoß gegen das rechtliche Gehör bzw. das Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren vorliege.

Gegen diesen Beschluss wurde Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingelegt und diese zur Entscheidung angenommen (Aktenzeichen 2 BvR 1451/18). Es bleibt abzuwarten, ob das Bundesverfassungsrecht anlässlich dieses Verfahrens auch gleich zu der weiteren, nun durch die aktuellere Entscheidung des Saarl VerfGH aufgeworfene Frage Stellung bezieht.

zurück zur Übersicht